Aus dem Archiv gefischt (1): Shitstorm over Regener

oder: Der Künstler im Zeitalter seiner digitalen Enteignung

Die Orientierung von allem und jedem ausschließlich an ökonomischen Interessen (vornehmlich natürlich an den eigenen) tut ihr Übriges, um eine Sichtweise zu etablieren, die sich, paradox genug, durch einen hedonistischen und zugleich antiindivualistischen Furor auszeichnet, der leicht ins Kannibalistische abgleiten kann. Das Resultat ist eine sehr spezielle Einsichtslosigkeit in die Notwendigkeit jener vom Gesetz garantierten Freiheitsräume, die Wissenschaft und Kultur wie der Mensch die Luft zum Atmen brauchen.“ Roland Reuß in Autorschaft als Werkherrschaft in digitaler Zeit“

Da hat er unlängst mal die Faxen dicke gehabt, der Sven Regener, Schriftsteller und Sänger von Element of Crime. In einem wütenden Monolog ereiferte er sich im BR über die immer miserabler werdende Produktionsbedingungen für Künstler in dieser Gesellschaft. „Man pisst und ins Gesicht!“, sagte er und meinte die sogenannte „Netzgemeinde“, insbesondere vertreten durch die gerade furios erfolgreiche Piratenpartei. Denn die Abschaffung des Urheberrechts wird hier nicht nur debattiert, sondern seit Jahren exzessiv praktiziert und als „Freiheit“ gefeiert. Dass das Urheberrecht die wesentliche Säule für das Einkommen von Künstlern wie Regener darstellt, diese also in ihrer Freiheit beschnitten werden sollen, interessiert dabei kaum jemanden. Kunst hat eben für alle da zu sein – umsonst versteht sich. Gesetzt den Fall, es wäre möglich, sich von digitalem Brot zu ernähren, würde für Backwerk sicher dasselbe gelten, weshalb es sich bei dieser Idee zumindest auf den ersten Blick um eine charmante antikapitalistische Vision mit Weltrettungscharakter handelt.

Dumm nur, dass die Waren von Bäckern, Metzgern oder Bierbrauern nicht digital zu kopieren sind. Deshalb wird denen, auch von der Piratenpartei, weiterhin ein Geldwert zuerkannt. Die ominöse Netzgemeinde, zu deren Vertreter sich diese Partei aufschwingt, will also nur den Warenwert der Kunst abschaffen, dabei aber gar nicht – wie im Shitstorm, der auf Regener niederging, immer wieder zu lesen war – in erster Linie dem Künstler schaden, sondern der teuflischen „Kulturindustrie“, vertreten durch die großen Film- und Musikimperien und ihre miesen Darth Vaders, wie etwa die GEMA.

Was in diesem Zusammenhang gern übersehen wird: Universal, Sony, Warner Bros. & Co. schreien zwar am lautesten, weil sie die lauteste Stimme haben, sind aber gleichzeitig diejenigen, die längst Wege gefunden haben auch in einem offenen Netz weiter zu verdienen. Wem es wirklich an den Kragen geht, das sind – dieser Teil von Regeners Rede wird oft überhört – die kleinen Independent-Label oder -Verlage, die eben nicht über den nötigen Marketing-Apparat und Finanzrahmen verfügen, sich mittels Beteiligungen an Internet-Plattformen und großen Werbeverträge ihren Anteil vom Kuchen zu sichern.

Ebenso sieht es bei den Künstlern aus: Lady Gaga oder Justin Bieber müssen keine Angst haben, denn ihre „Kunst“ ist ohnehin nur Markendesign von Medienkonzernen, die tatsächlich kein Urheberrecht brauchen, um Gewinn zu realisieren. Wen es trifft, das ist sozusagen der künstlerische Mittelstand, zu dem man auch Regener zählen muss. Trotz all seiner Erfolge ist der Mann mit Sicherheit kein „reicher Sack“, wie er im Shitstorm zigfach tituliert wird, das wird man nämlich nicht so leicht, wenn man Kunst macht.

Auch das (noch) geltende Urheberrecht mit seinen Verwertungsgesellschaften à la GEMA, wie es nun von Regener verteidigt wird, ist im Kern eine Umverteilung von unten nach oben. Mit der Bekanntheit von Element of Crime kann man durchaus von der GEMA leben, um aber über die GEMA reich werden zu können, muss man schon Herbert Grönemeyer oder Xavier Naidoo sein. Nach unten tritt und spuckt dieser bizarr legitimierte Verein, speist das Gros seiner Mitglieder mit Brosamen ab, macht kleine Clubs kaputt und hat mit seinen überzogenen Gebühren manches ambitionierte Festival auf dem Gewissen. Abschaffen? Gerne. Ersatzlos? Nein.

Ein Fritz Effenberger schreibt unter dem Titel „Sven Regener, du erzählst Unsinn, und ich erklär dir warum“ in seinem Blog, er mache ja auch Musik, aber man müsse sein Geld im Internet eben anders verdienen, mit Werbung zum Beispiel. Alle seine journalistischen Texte seien frei verfügbar und er verdiene trotzdem super. Wundermaschine Internet: Gewusst wie, und schon läuft’s!

Leider klingt das alles nur noch halb so gut, wenn man ihn googelt, den Herrn Effenberger. Mit Werbung verdient er beim Bloggen schon mal genau so wenig wie ich, es gibt nämlich keine auf seinem Blog. Kollege von Regener ist er auch nicht, hat nur mal als junger Mann bei einer relativ unbekannten Band gespielt und greift heute manchmal hobbymäßig zur Gitarre. Sein Geld verdient er u.a. als Entwickler von Games und Gadgets (Copyright!) und als Schreiberling für Online-Magazine, auf deren Plattformen für Microsoft, Apple & Co. geworben wird. Und genau um die geht es in diesen Magazinen auch. Hier zeigt sich das Internet einmal mehr als selbstreferentielle Blase, die sich zwar anscheinend wunderbar aus sich selbst heraus finanziert, dabei aber auf all jene scheißt, die sich nicht hauptberuflich auf seine Strukturen einlassen wollen. Um hier zu verdienen, muss man es so machen wie Effenberger: Aufhören, Künstler zu sein. „Mach das doch auch bitte“, fordert er Regener tatsächlich auf.

Überträgt man die Idee, dass nicht mehr der Konsument den Produzenten bezahlt, auf die eingangs erwähnten Bäcker, wird das Problem deutlicher: Der Bäcker würde dann seine Brötchen umsonst abgeben und das mit Werbung auf den Tüten finanzieren. Weil aber nur der Bäcker richtig gute Werbekunden kriegt, der enorm viel Brötchen unters Volk bringt, bleiben bald nur noch ein oder zwei riesige Backkonzerne, die möglichst billig etwas herstellen, was vage wie ein Brötchen aussieht und vielleicht ein paar Idioten, denen unbezahltes Brötchenbacken Spaß macht. Wie es dazu kommen konnte, dass auch sich „links“ gerierende Zeitgenossen Konzernwerbung plötzlich so unkritisch sehen, ist auch so eine Frage, die man sicher mal extra erörtern müsste …

Aber zurück zur Kunst: Natürlich gibt es inzwischen auch viele Ideen, wie man Künstler anders als auf dem üblichen Weg über Verwertungsgesellschaften entlohnen könnte. Da gibt es zum Beispiel das freiwillige Bezahlsystem Flattr, dessen Pferdefuß (neben der Finanzierung eines Konzerns namens „Flattr“ mit 10 Prozent auf jede Spende) – hehres Menschenbild hin oder her – die Freiwilligkeit ist. Der Chaos Computer Club (CCC) sieht diesen Pferdefuß auch und hat deshalb die Idee einer verbindlichen „Kulturwertmark“ in die Welt gesetzt. Hierbei handelt es sich im Prinzip um eine neue Steuer, die monatlich für jeden Internetanschluss erhoben werden soll. Anschließend entscheidet der Konsument selber, welchem Künstler seine Kulturertmärker zugute kommt. Damit nun der Konsument nicht alles Geld an Florian Silbereisen oder Böhse Onkelz abgibt, soll es eine Obergrenze geben. Wer die festlegen soll, weiß der CCC noch nicht. Vermutlich die „Stiftung“ die dann an die Stelle der GEMA treten soll (und die sicher deren Mitarbeiter – des KnowHows wegen – übernähme).

Auch schwant dem CCC, dass es Kunstarten und -richtungen gibt, die bei einer Konsumentenbewertung vollkommen durchs Raster fallen würden, was das kulturelle Spektrum schwer beschädigen würde. Also möchte man die Vergabe der Kulturwertmark beispielsweise für Popmusik prozentual begrenzen. Ob dadurch allerdings die Komponisten sogenannter „Ernster Musik“ eine faire Chance bekämen, scheint mir überaus fraglich. Wahrscheinlich müsste man hierfür noch eine finanzielle Höherbewertung der tatsächlich vergebenen Kulturwertmärker einrichten, also ziemlich genau das tun, was derzeit die GEMA tut.

Aber so sehr sich die neu zu schaffende „Stiftung“ und die GEMA an diesem Punkt auch schon wieder gleichen, einen Machtfaktor müsste man der „Stiftung“ sogar noch zusätzlich einräumen, von dem auch in der GEMA sicher mancher feuchte Träume träumt: Nämlich, die Entscheidung zu treffen, was Kunst ist und was nicht. Warum? Weil jeder halbwegs findige User ansonsten irgendein Textchen, eine Dreitonfolge mit Gebrüll drüber und ein grün eingefärbtes Urlaubsbild ins Netz stellt und sich seine Kulturmärker einfach selber gibt, bzw. das als Austauschgeschäft mit einem Kumpel organisiert. Jede Steuer schafft schnell ihre Schlupflöcher und deshalb auch einen monströsen Machtapparat, der dem der GEMA mit Sicherheit in nichts nachstünde, sie vielleicht sogar noch übertreffen würde.

Was das Verstörendste an der ganzen Debatte ist: Warum will man eigentlich unbedingt die Schutzfristen im Urheberrecht verändern bzw. abschaffen? 51 Tatort-Autoren haben gerade in einem offenen Brief zurecht darauf hingewiesen, dass es den Usern doch in der Regel nicht um freien Zugang zu den Werken bereits verstorbener Autoren geht, sondern um den freien Zugang zu aktuellen Songs und Filmen. Die Tatort-Autoren konstatieren Symbolpolitik („Schaut her, wir kommen euch ein bisschen entgegen!“) und haben sicher recht damit.

Aber, was auch immer sich der CCC oder andere einfallen lassen, schaut man sich den Anti-Regener-Shitstorm an, geht das alles an den meisten Usern vorbei. Die wollen keine neue Steuer oder ähnliches, sondern die totale Abschaffung des Copyrights. Und mit dieser Ansicht sind sie auch in der Piratenpartei vertreten, wie kürzlich ein Musikerkollege von mir, auf seine schriftliche Nachfrage hin, noch mal vom Berliner Landesvorsitzenden Hartmut „Hase“ Semken bestätigt bekam. Dies aber kann gar nichts anderes zu Folge haben, als die Abschaffung von Kunst als Beruf.

Nun gibt es User, die sagen: „Aber es geht uns doch nur ums Internet! Und viele Leute bezahlen ja sogar für das, was sie runterladen. Ist das wirklich ein so großer Verlust?“ Ja, ist es. Coole junge Leute, die sich für Abseitiges interessieren, zahlen nämlich in der Regel nicht. Zahlen tun bislang nur die Doofies – für Depeche Mode oder Madonna und ein paar Moralisten mittels Flattr. Die kleinen Labels und Verlage draußen in der wirklichen Welt gehen tatsächlich pleite und mit ihnen ihre Künstler. Allerdings liegt das nicht ausschließlich am Schwarzkopieren. Es liegt daran, dass das Internet beim Kunst-Konsumenten schon seit zehn Jahren den Anspruch nährt, den Sektor Kunst für umsonst zu bekommen, auch außerhalb des Netzes.

Die Bereitschaft, beispielsweise für Konzerte weniger bekannter Bands (oder gar für Lesungen) zu bezahlen wird seit Jahren immer geringer, also auch die Eintrittsgelder und die Gagen, jedenfalls dort, wo kein staatliches Förder- oder Subventionssystem wirkt. Da wird am Einlass inzwischen schon über 5 Euro diskutiert, obwohl man am selben Abend ohne mit der Wimper zu zucken 30 Euro versäuft, womit dann auch klar wird, dass das Problem hier nicht in erster Linie Armut heißt.

Der CD-Verkauf, der noch eine Zeitlang die niedriger werdenden Gagen abfederte, findet bei einem Publikum, das mehrheitlich unter dreißig ist, nahezu nicht mehr statt. Der Künstler wird am CD-Stand sogar noch gefragt, wo es die CD zum kostenlosen Download gibt. Und was tut er, der Künstler? Lacht. Weil er ja nicht „uncool“ sein darf – auch das ein Begriff aus Regeners Rede. Uncool wird man schnell, zum Beispiel wenn man die Anfrage eines coolen Clubs, dort umsonst zu spielen, ablehnt. Sogar als Kapitalist gilt man dann, obwohl jeder in diesem Club, vom Barmann bis zum Türsteher, Geld verdient, ohne dafür Kapitalist genannt zu werden. Und das – auch wenn die eigene Beobachtung gemeinhin als ungenaueste der empirischen Methoden gilt – ist längst Künstleralltag. Wer sich dagegen auflehnt, ist „uncool“ bzw. konservativ. Wobei niemandem aufzufallen scheint, dass es gerade den Independent- und Alternative-Sektor zuerst trifft und, dass die Coolen und Fortschrittlichen somit plötzlich Bejoncé oder Shakira heißen. Die haben solche Probleme nämlich nicht.

Sascha Lobo, einer der ideologischen Papaschlümpfe der Netzgemeinde, wird in seiner regelmäßigen Kolumne auf SpiegelOnline nicht müde, jede Erregung in Internet-Fragen als konservative Fortschrittsangst zu entlarven. Stets nach demselben Muster verfahrend, zitiert er irgendwelche Ängste, die Menschen etwa bei der Einführung von Kraftfahrzeugen oder Fernsehen geäußert haben, um dann altklug festzustellen, dass wir heute alle Autos nutzen und fernsehen und uns die damaligen Ängste nun lächerlich vorkommen. Faktisch hat aber noch fast jede Erfindung die Welt nicht nur zum Positiven verändert. Häufig hinterließ man der Nachwelt sogar gigantische Hypotheken, so heiß war man darauf, das neue Spielzeug in Aktion zu sehen.

Es ist mitnichten konservativ, über mögliche Folgen nachzudenken, bevor sie eingetreten sind, und schon gar nicht ist es konservativ vor Folgen zu warnen, die bereits offensichtlich sind. Um beispielsweise als Musiker im Internet über Klicks bei YouTube Geld zu verdienen (wie es Fritz Effenberger propagiert), hat es keinen Sinn mehr, jährlich zwanzig Songs zu schreiben und achtzig Konzerte zu geben. Man muss einen einzigen Song schreiben und den Rest der Zeit damit verbringen, diesen überall einzustellen und mit einem lustigen (lustig ist immer toll!) Video sowie allerlei Marketing-Rödelei im Web 2.0, 3.0 oder 5.0 zu promoten. Und hat man irgendwann 12 Millionen Klicks, ergibt auch das Touren wieder Sinn. Verabschieden wir uns also von künstlerischen Ideen, die etwas abseitiger sind und Zeit brauchen.

Kurz ist die Aufmerksamkeitsspanne im Internet, kurz und auffällig muss daher das Werk sein, will man damit verdienen. Dieser Artikel hier ist schon vor zwei Seiten zu lang gewesen, um von Leuten im Netz aufmerksam bis zum Ende gelesen zu werden. Einstellen werde ich ihn trotzdem. Bin ja (noch) nicht darauf angewiesen, mein Geld mit Klicks zu verdienen. Noch kriege ich Tantiemen für meine Bühnenstücke und bin prozentual an Buch- und CD-Verkauf beteiligt. Denn noch gibt es das Urheberrecht. Auch muss ich nicht hinnehmen, das jemand kommt und diesen meinen Text einfach auf eine Seite kopiert, die mir vielleicht nicht gefällt, deren politische Ansichten ich vielleicht nicht teile. Denn der Text gehört mir, auch dann, wenn ich beschließe ihn auf eine von mir ausgesuchte Internet-Seite zu stellen. Man darf ihn verlinken, man darf ihn zitieren. Will man ihn aber kopieren und zu eigenen Zwecken verwenden, muss man mich dafür bezahlen oder zumindest fragen. Das nennt sich Urheberrecht.

Fazit: Die „Digitale Revolution“ ist an einem Punkt angelangt, an dem es sie zur Enteignung treibt, dummerweise nicht zur Enteignung von Konzernen oder Banken, sondern zur Enteignung der Künstler. Die „Schwarmintelligenz“ belegt damit einmal mehr, dass es auch „Schwarmblödheit“ gibt (siehe auch: Pogrome, Hooligans und Leute die sich per Facebook verabreden, um einen Unschuldigen zu lynchen). Der Inbegriff dieser Schwarmblödheit, die Piratenpartei, ist in ihrer Gemengelage aus beeindruckender politischer Unkenntnis zu fast allen Themen und neoliberaler Ideologie nichts als ein FDP-Sample mit PISA-Rap zu zeitgemäßem Beat. Und die „Freiheit im Netz“, für die da gestritten wird, erweist sich als eine weitere kapitalistische Deformierung des ehemals linken Freiheitsbegriffs.

Solange es in dieser Debatte aber „nur“ gegen die Künstler geht (nicht gegen Bäcker oder Bierbrauer), hat der Schwarm in einem recht: Der Drang zum Kunstmachen ist eine Bewusstseinsstörung, die man nicht bezahlen muss. Denn der Künstler wird auch dann nicht aufhören zu produzieren, wenn man ihn in die Fänge der bald schon einzigen nennenswerten Künstlerförderung treibt. Sie heißt Hartz IV.

Markus Liske